Der ISAF-Einsatz und der „Wald der Erinnerung“

Der Afghanistan-Einsatz wird als erster Kampfeinsatz der Bundeswehr Geschichte schreiben. Mit Gefechten und Anschlägen gingen Tod und Verwundung einher. Die Soldaten haben ihrer ums Leben gekommenen Kameraden durch die Errichtung von Ehrenhainen in den Feldlagern gedacht. Was geschieht mit diesen Gedenkorten? Ein Interview mit dem Verantwortlichen für die Errichtung des „Waldes der Erinnerung“.

Kreuz und Antriebszahnkränze vom Ehrenhain OP North

Auch die Kernelemente des Ehrenhaines vom OP North in Afghanistan haben im „Wald der Erinnerung“ ihren Platz gefunden. (Quelle: Bundeswehr/Tessensohn)Größere Abbildung anzeigen

Oberstleutnant Arnold Winkens war als Projektoffizier im Führungsstab der Streitkräfte in Berlin für den Aufbau dieses besonderen Gedenkortes zuständig.

Die Gedenkkultur der Bundeswehr wandelt sich – welchen Anteil hat der ISAF-Einsatz daran?

Ich denke nicht, dass „Wandel“ das richtige Wort ist, sondern es sich eher um eine Entwicklung hin zu einer noch tiefergehenden Beschäftigung mit den Gefahren und Risiken des Soldatenberufes handelt, die in der fast 60-jährigen Geschichte der Bundeswehr schon immer bestand, allerdings nicht so im Fokus des allgemeinen Interesses stand.

Den Anstoß zu einer weitergehenden Diskussion und einer öffentlichen Würdigung der in Ausübung des Dienstes zu Tode gekommenen Bundeswehrangehörigen begann natürlich schon weit vor dem Afghanistaneinsatz mit den ersten besonderen Auslandseinsätzen seit 1990. Ich erinnere an den Tod des Sanitätsfeldwebels in Kambodscha, der auf offener Straße von einem Unbekannten erschossen wurde.

Ein Besuch des damaligen Verteidigungsministers Franz-Josef Jung 2005 beim neu errichteten Ehrenhain in Kabul gab einen weiteren Anstoß zur Diskussion über die Gefahren und Risiken im Auslandseinsatz und trug zu einer größeren Aufmerksamkeit und anschließenden breiteren Diskussion bei, die zur Errichtung des Ehrenmals der Bundeswehr führte. Und ja, der Einsatz in Afghanistan nahm eine besondere Rolle ein, hier fiel der erste Soldat der Bundeswehr in einem Gefecht.

Das bedeutet jedoch nicht, dass die seit Gründung der Bundeswehr im Jahr 1955 zu beklagenden Toten damit in den Hintergrund rücken. Im Gegenteil: Ihr ehrendes Gedenken wird an vielen Standorten mit unterschiedlichsten Erinnerungsstätten würdig gestaltet. Über Jahrzehnte hinweg erinnern betroffene Soldaten sowie zivile Beschäftigte der Bundeswehr an ihre ums Leben gekommenen Kameraden sowie Kollegen an unterschiedlich gestalteten, meist schlicht gehaltenen Gedenkstätten in zahlreichen Liegenschaften. Seit 1955 starben Jahr für Jahr oft mehrere Dutzend, teilweise über einhundert Soldaten oder zivile Angehörige der Bundeswehr. Sie kamen bei Manövern, Flugzeugabstürzen, Übungen und Ausbildungen oder bei Unfällen ums Leben.

Es fehlte jedoch ein zentraler Ort, an dem der Toten der Bundeswehr gedacht werden konnte. Die Diskussion um den Einsatz in Afghanistan hat sicher einen gewichtigen Anteil daran, dass sich der Prozess zur Errichtung eines Ehrenmals der Bundeswehr deutlich beschleunigt hat.

Es ist mir wichtig zu betonen, dass gerade die Gedenk- und Erinnerungskultur, die sich über die Jahrzehnte entwickelt hat, nicht „von oben verordnet“ wurde, sondern „von unten“ kam, das heißt, von den betroffenen Hinterbliebenen, den Kameraden sowie den Kollegen. Alle haben aus meiner Sicht ein emotionales Bedürfnis zur Einrichtung eines Ort zum Erinnern und Gedenken. So wurde mit sehr viel Eigenengagement, Herzblut und Hingabe ein ehrendes Gedenken gestaltet und so der individuellen Erinnerung ein würdiger Raum gegeben.

Vor allem aber wurden besondere Orte der Besinnung mit den offiziellen Ehrenhainen in Afghanistan und auf dem Balkan geschaffen, die nun im „Wald der Erinnerung“ in der Henning-von-Tresckow-Kaserne in Potsdam-Schwielowsee wieder errichtet werden. Darüber hinaus gab es in den Einsatzländern weitere, verbandsinterne Gedenkstätten, die bereits in die Heimatstandorte überführt wurden. Auch die Namensgebung bei Gebäuden, Brücken, Straßen oder Plätzen vor Ort ist ein weiterer Ausdruck für das ehrende Gedenken. Diese Gedenkkultur von Kameraden für Kameraden ist dabei besonders „anfassbar“. Sie macht den Tod des guten Kameraden im wahrsten Sinne des Wortes „begreifbar“.

Winkens im Porträt

Oberstleutnant Arnold Winkens hat an zentraler Stelle am neuen Gedenkort mitgewirkt. (Quelle: Bundeswehr)Größere Abbildung anzeigen

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Der „Wald der Erinnerung“ wird in Potsdam, genauer beim Einsatzführungskommando der Bundeswehr, errichtet. Wie kam es zu seiner Entstehung und der Wahl des Ortes?

Von der im „Netzwerk der Hilfe“ bestehenden Arbeitsgruppe „Angebot und Möglichkeit zur Unterstützung von Hinterbliebenen“ kam, nahezu gleichzeitig zu den Überlegungen der Bundeswehr zum Verbleib der Ehrenhaine nach Abzug aus den Einsatzgebieten, der Vorschlag, einen sogenannten „Erinnerungswald“ oder „Wald der Erinnerung“ auf einem bundeswehreigenen Gelände zu schaffen. In diesem zu schaffenden Wald sollte es für die Angehörigen zum einen eine Möglichkeit geben, auf eigenen Wunsch Bäume zu pflanzen oder zum anderen vorhandene Bäume in geeigneter Art und Weise zu kennzeichnen. Als Ergebnis wurden folgende Eckpunkte festgehalten:

Erstens: Der Wald solle ein lebendes Denkmal für alle sein. Zweitens: Es wurde eine räumliche Nähe zu den zurückzuführenden Ehrenhainen favorisiert. Und drittens: Ausdrücklich sollte keine Konkurrenz zum Ehrenmal der Bundeswehr entstehen, sondern vielmehr wurde das zentrale und offizielle Gedenken durch die Möglichkeiten einer individuellen Besinnung, ergänzt.

Es wurden insgesamt dreizehn verschiedene Liegenschaften betrachtet, bevor Ende März 2013 die Wahl auf das Gelände in der Henning-von-Tresckow-Kaserne in Potsdam-Schwielowsee fiel, dem Standort des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr. Von hier aus wurden und werden die Einsätze der Bundeswehr geführt. Das bereits vorhandene natürliche Waldgelände in der Kaserne bot insbesondere die Möglichkeit, einen endgültigen und würdigen Ort für den „Wald der Erinnerung“ zu gestalten.

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Die Ehrenhaine der Bundeswehr in Afghanistan wurden und werden von dort nach Potsdam gebracht. Wie kann man sich den Transfer vorstellen und werden sie identisch wiederaufgebaut?

Die unverwechselbaren Insignien und markanten Kernelemente der Ehrenhaine werden detailgetreu in die vorhandenen Lichtungen des „Waldes der Erinnerung“ integriert. Die zum Teil recht weitläufigen Originalanlagen konnten daher nicht in der ursprünglichen Größe aufgebaut werden und wurden dazu maßstabsgerecht angepasst. So hatte die Originalanlage in Kabul zum Beispiel eine Fläche von 40 mal 25 Metern, die entsprechend maßstabsgerecht und detailgenau angepasst wurde. Bei allen Maßnahmen stand immer im Vordergrund, einen möglichst hohen Wiedererkennungswert zu erzielen. Andere, wie der Ehrenhain aus Faisabad, werden in der Orginalgröße von zirka 5 mal 3 Metern wiederaufgestellt.

Vor der Überführung nach Deutschland wurden die Ehrenhaine im Detail erfasst, Stück für Stück und Stein für Stein zurückgebaut, nummeriert und dokumentiert. Die Ziegel für die landestypischen Ziegelsteinmauern wurden beim Originalhersteller in Afghanistan neu gebrannt. Die tonnenschweren Findlinge oder Obelisken wurde gut geschützt in Transportkisten verpackt und auf geeignetem Weg nach Deutschland gebracht. Vor dem Wiederaufbau erfolgte für die einzelnen Kernelemente eine fachgerechte Aufarbeitung mit entsprechendem Witterungsschutz.

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Gibt es bereits Reaktionen von Hinterbliebenen auf die Errichtung des Gedenkortes?

Wie bereits ausgeführt, kam die Idee für die Gestaltung eines Waldes aus dem Kreis der Hinterbliebenen. Es fand und findet ein ständiger reger Austausch zwischen den Hinterbliebenen, betroffenen Kameraden sowie anderen Meinungsträgern mit der seit Anfang 2013 bestehenden ministeriellen Arbeitsgruppe Ehrenhaine statt. Insbesondere, wenn die einzelnen Fortschritte vorgestellt wurden, gab es einhellige Zustimmung und eine spürbare Dankbarkeit, dass ein endgültiger und würdiger Ort wird für das gemeinsame Gedenken und individuelle Erinnern geschaffen wird. Diese Erinnerungsstätte ist einmalig und ein besonderer Ort für das persönliche Gedenken.

Der „Wald der Erinnerung“ schafft, dem Wunsch der Hinterbliebenen folgend, die Möglichkeit, einen Baum ihrer Wahl mit einem kleinen Namenschild oder einer angelehnten Tafel zu kennzeichnen. Einige der Hinterbliebenen möchten dies im Anschluss an die Einweihungszeremonie am 15. November 2014 tun.

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Eine persönliche Einschätzung : Wie denken Sie, wird der Einsatz in zehn Jahren mit Blick auf seine Auswirkungen für die Bundeswehr bewertet werden?

In Afghanistan fiel der erste Soldat der Bundeswehr in einem Gefecht. Ich glaube, der Einsatz hat auch dazu beigetragen, Dinge offener und ehrlicher beim Namen zu nennen. „Gefecht“ und „Krieg“ eignen sich selten für Hochglanzbroschüren, auch Romantik ist fehl am Platze. Soldaten stehen im Gefecht und führen ihren Auftrag aus unter Gefahr für Leib und Leben für uns alle – ganz im Sinne unseres abgelegten Eides, „treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen.“

Die Würdigung dieser Gefahren bedarf steter Diskussion auch außerhalb der Bundeswehr in Gesellschaft und Politik. Unsere Männer und Frauen werden dafür bestmöglich ausgebildet, vorbereitet und ausgerüstet.

Und wenn Sie mich fragen, wie der Einsatz in zehn Jahren bewertet wird, so kann ich aus meiner Sicht als verantwortlicher Projektoffizier der Abteilung Führung Streitkräfte für den „Wald der Erinnerung“ sagen: Wir haben damit in Ergänzung des Ehrenmals der Bundeswehr einen würdigen und endgültigen Ort geschaffen, der auch in zehn Jahren und auch darüber hinaus ein offizielles Gedenken und individuelles Erinnern an diejenigen, die ihr Leben gaben, einen besonders angemessenen Raum gibt. Oder wie es ein besonders gelehrter Mensch ausdrückte, eine „unkündbare Verortung“.

 

Quelle: Bundeswehr.org

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